„Bluthochdruck, Diabetes und Krebserkrankungen waren früher einmal auf die reichen Länder beschränkt; heute sehen auch wir mehr und mehr Neuerkrankungen“, sagt der vietnamesische Arzt, Dr. Chang As Sinh.

Sep 24, 2015

Gian Cho De wurde dank einer Routineuntersuchung womöglich das Leben gerettet. Der 77-Jährige vietnamesische Bauer fühlte sich nicht wohl und wanderte mehr als zehn Kilometer zum nächstgelegenen Krankenhaus. Bei der anschließenden Routineuntersuchung wurde aber nicht nur ein erschreckend hoher Blutdruck festgestellt, sondern auch ein erhebliches Risiko, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden.

Gian wird jetzt regelmäßig untersucht und ärztlich beraten. Ziel ist eine Veränderung seiner Ernährungsgewohnheiten und seines Lebensstils, damit sich sein Blutdruck normalisiert. Seine Erfahrung ist beispielhaft für die vieler Menschen in diesem ländlichen Teil Nordwest-Vietnams. Dort kämpfen Mitarbeiter aus dem Gesundheitswesen gegen eine dramatisch steigende Zahl nicht-übertragbarer Krankheiten.

„Bluthochdruck, Diabetes und Krebserkrankungen waren früher einmal auf die reichen Länder beschränkt; heute sehen auch wir mehr und mehr Neuerkrankungen“, sagt Gians Arzt, Dr. Chang As Sinh.

Vietnam steht nicht alleine da. Chronische Erkrankungen machen fast zwei Drittel aller Todesfälle weltweit aus – etwa 80 Prozent dieser Todesfälle sind laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu verzeichnen.

Mit zunehmendem Alter der Bevölkerung und der weltweit steigenden Zahl älterer Menschen ist damit zu rechnen, dass sich chronische Erkrankungen zu einem immer größeren Problem entwickeln. Nach WHO-Prognosen werden bis 2030 in den Entwicklungsländern mehr Menschen an Herzinfarkt oder Schlaganfall sterben als an Infektionskrankheiten. Für Länder, deren gegenwärtig wichtigstes Gesundheitsproblem in der Kontrolle von Infektionskrankheiten wie Malaria, Tuberkulose und HIV/AIDS besteht, bedeutet die Zunahme chronischer Erkrankungen eine riesige Belastung und Herausforderung.

„Das ist eine Pandemie in Zeitlupe“, erklärte Arnaud Bernaert, Leiter von Global Health and Healthcare, (Ist das eine Novartis-Funktion? Dann sollten wir das auch sagen. So erkennt man das nicht) beim Weltwirtschaftsforum (WEF). „Aber dieses Problem findet in aufstrebenden Gesellschaften immer noch viel zu wenig Beachtung. Dort hat man andere, offensichtlich drängendere Probleme.“

Die Patienten trifft es doppelt. Sie haben einerseits mit den körperlichen und emotionalen Belastungen durch ihre Erkrankungen zu tun. Andererseits sind sie finanziell gebeutelt. Denn Menschen, die gegen eine Krankheit kämpfen, können oft nicht mehr arbeiten und können deshalb ihre Familie nicht mehr versorgen.

Chronische Erkrankungen „bedeuten Verluste in Milliardenhöhe für nationale Einkommen. Gleichzeitig rutschen Millionen von Menschen in die Armut ab – Jahr für Jahr“, berichtete Dr. Margaret Chan, Generaldirektorin der WHO, bei der Veröffentlichung des WHO-Statusberichts über nicht-übertragbare Krankheiten.

Veränderung von Lebensstil und Ernährungsgewohnheiten

Einige der Ursachen hinter der Zunahme nicht-übertragbarer Krankheiten sind auf positive Trends in der Gesellschaft zurückzuführen: Bessere Ernährung, höhere Hygienestandards und Fortschritte bei der Bekämpfung ansteckender Krankheiten tragen dazu bei, dass Menschen länger leben und daher Alterserkrankungen entwickeln. Andere Gründe stellen sich weniger positiv dar: Das Wirtschaftswachstum, gefolgt von einer raschen Urbanisierung, geht häufig Hand in Hand mit veränderten Ernährungsgewohnheiten – zu viel Fett, zu viele Kohlenhydrate, zu viele Kalorien – und einem weniger aktiven Lebensstil.

Gleichzeitig haben nicht alle Menschen mit chronischen Erkrankungen Zugang zu Diagnoseverfahren und hochwertigen Therapien und Medikamenten. Ein Grund: der Mangel an qualifizierten Ärzten und Pflegepersonal. Insbesondere in ländlichen Regionen tragen Mitarbeiter im Gesundheitswesen entscheidend dazu bei, die grundlegende medizinische Versorgung auf kommunaler Ebene sicherzustellen. Doch viele Mitarbeiter sind nicht in der Lage, eine Diagnose zu stellen oder komplizierte Krankheiten zu behandeln.

Spezialisten sind dünn gesät. Dr. Helen Yifter Bitew beispielsweise ist eine von sechs Endokrinologen in Äthiopien – einem Land mit 94 Millionen Einwohnern. Sie leitet eine Spezialabteilung für Diabetes im Tikur Anbessa Hospital in Addis Abeba. An Arbeit mangelt es ihr nicht.

„Das ganze Ausmaß der Problematik mit Diabetes und Bluthochdruck“, sagt sie, „wird von vielen politischen Entscheidungsträgern nicht erkannt. Das ist eine versteckte Epidemie. Die Erkrankungen verlaufen bis ins Spätstadium asymptomatisch. Dann aber können Komplikationen lebensbedrohlich werden.“

Kulturelle Faktoren kommen hinzu. In vielen Ländern vertrauen die Leute noch immer auf die traditionelle Heilkunde als erste Behandlung bei einer Erkrankung. Scham und Angst halten viele Menschen davon ab, Hilfe zu suchen. Darüber hinaus werden chronische Erkrankungen oft erst in einem akuten Stadium als solche wahrgenommen.

Ein weiterer wichtiger Faktor sind die Kosten. Wer einen Arzt besucht, kann nicht arbeiten. Steht überhaupt eine Langzeit-Therapie zur Verfügung, dann ist sie teuer. Laut einem Bericht der Economist Intelligence Unit (EiU) von 2014 über nicht-ansteckende Krankheiten in Afrika südlich der Sahara, belaufen sich die Kosten für die Behandlung einer chronischen Erkrankung im Durchschnitt auf 29 Prozent des durchschnittlichen Jahreseinkommens der Bewohner.

„Die meisten Leute können sich eine Therapie nicht leisten“, so Dr. Kingsley Akinroye, nigerianischer Experte für kardiovaskuläre Gesundheit und Vizepräsident der World Heart Federation in dem EIU-Bericht.

Vielversprechende Lösungen

Allerdings gibt es erste Initiativen, die chronischen Erkrankungen den Kampf ansagen. Mit ersten Erfolgen. So beginnt sich der Zugang zu allgemeinmedizinischer Versorgung zu verbessern. Auf Gemeindeebene bilden sich mehr Mitarbeiter im Gesundheitswesen entsprechend weiter. Hunderttausende sind bereits in die ländlichen Gebiete Sambias, Kenias, Äthiopiens und anderer Länder ausgeschwärmt.

Auch in Ruanda expandieren Gesundheitsleistungen dramatisch - mit derzeit über 45.000 geschulten Mitarbeitern im Gesundheitswesen. Sie sichern die medizinische Grundversorgung und stellen Überweisungen an Ärzte aus. Prävention und Aufklärung über die Rolle eines gesunden Lebensstils kommt bei der Reduzierung von Todesfällen wahrscheinlich die größte Bedeutung zu. Die Regierung macht in Kampagnen darauf aufmerksam, wie riskant schlechte Ernährung, mangelnde Bewegung und übermäßiger Alkohol- und Tabakgenuss sind.

Der systematische Ansatz zahlt sich aus. Ruandas Gesundheitsministerin, Dr. Agnes Binagwaho, ehemalige Fachärztin für Pädiatrie, erklärte in dem EIU-Bericht: „Gute Gesundheit für alle Einwohner Ruandas ist unsere Mission. Im Kampf gegen ansteckende Krankheiten können wir große Fortschritte verzeichnen. Jetzt ist es an der Zeit, nicht-übertragbare Krankheiten in Angriff zu nehmen.“

Auch in Vietnam haben ein gesunder Lebensstil und ein geschärftes Bewusstsein für die eigene Gesundheit in kommunalen Kampagnen oberste Priorität. Breit angelegte Überwachungsmaßnahmen dienen unter anderem dazu, Patienten mit einem Risiko für Diabetes oder Bluthochdruck aufzuspüren und zu behandeln, falls sie bereits einschlägige Symptome zeigen. Mitarbeiter im Gesundheitswesen werden regelmäßig geschult. Doch für eine flächendeckende Versorgung ist wesentlich mehr Personal nötig.

„Unser größtes Problem besteht darin, die richtigen Kandidaten für Weiterbildungen zu finden“, so Dr. Cu Hong von der Mu Cang Chai Klinik in der Provinz Yen Bai. Und weiter: „In dieser entlegenen Region ist es beinahe unmöglich, einen Arzt zu finden, der sich in einigen Spezialgebieten weiterbilden möchte.“ So haben noch immer zu viele Menschen nicht das Glück, das Gian Cho De, dem 77 jährigen Bauer, beschieden war.

Links

Global Status Report on non-communicable diseases, veröffentlicht durch die Weltgesundheitsorganisation 2014.

Sub-Saharan African Healthcare: the user experience, veröffentlicht durch die Economist Intelligence Unit 2014, finanziert von Novartis.

Global Economic Burden of Non-Communicable Diseases, veröffentlicht 2011 durch das Weltwirtschaftsforum und die Harvard School of Public Health.