Was ist das?

Das atypische hämolytisch-urämische Syndrom (aHUS) gehört zu den seltenen Erkrankungen: Von einer Million Menschen erkrankt weniger als einer daran. Es geht mit einer unkontrollierten Aktivierung des Komplementsystems – einem wichtigen Teil des Immunsystems – einher. Es ist eine Form der thrombotischen Mikroangiopathie (TMA) einher. Diese ist durch Schäden in den kleinsten Gefäßen durch Blutgerinnsel charakterisiert, welche die Durchblutung der Niere beeinträchtigen und zu irreversible Schäden führen können.

Bei aHUS treten verschiedene Symptome häufig ganz plötzlich auf: Charakteristisch ist eine Trias aus Blutarmut (mikroangiopathische hämolytische Anämie), einem Mangel an Thrombozyten (Thrombozytopenie) und akutem Nierenversagen (Organmanifestion). Weitere Symptome sind Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Blässe. Die Schädigung der Nieren kann zu Wassereinlagerungen und einer verringerten Harnausscheidung sowie zu einer sogenannten Urämie führen: Hierbei handelt es sich um eine Ansammlung von Substanzen im Blut, die eigentlich mit dem Urin ausgeschieden werden sollten. Da aHUS auch andere Organe wie den Magen-Darm-Trakt, die Lunge, das Herz und das Hirn schädigt, haben Betroffene zudem häufig weitere Symptome wie Durchfall, Bauchschmerzen, Übelkeit, Kurzatmigkeit, hohen Blutdruck und Krampfanfälle. 

Folglich lässt sich auch der Name der Erkrankung erklären:

  • Atypisch: nicht typisch
  • Hämolytisch: Auflösung der roten Blutkörperchen
  • Urämisch: Ansammlung von Substanzen im Blut, die eigentlich mit dem Urin ausgeschieden werden sollten
  • Syndrom: durch Auftreten verschiedener Symptome gekennzeichnetes Krankheitsbild

Genetische Veränderungen gelten als Risikofaktoren für die Entwicklung von aHUS. Bei etwa der Hälfte der Patient*innen sind diese Veränderungen angeboren, allerdings können sie sich auch im Laufe des Lebens entwickeln und bewirken eine Regulationsstörung des Komplementsystems, einem wichtigen Bestandteil des angeborenen Immunsystems. Häufig ist jedoch ein Auslöser erforderlich, wie Transplantatreaktionen, Infektionen, Schwangerschaft und Drogenmissbrauch, damit sich die Krankheit manifestiert.

Die Diagnose von aHUS kann schwierig sein, da die Symptome auch bei anderen Erkrankungen auftreten können. Beispiele für derartige Erkrankungen sind das infektiöse, durch Shigatoxin bildende Escherichia Coli ausgelöste STEC-HUS und die thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP). STEC-HUS tritt meist postinfektiös nach einer Magen-Darm-Entzündung mit Shigatoxin bildenden Keimen auf. Für eine Differentialdiagnostik bzw. zur Diagnose von STEC-HUS ist eine Analyse einer Stuhlprobe unabdingbar. Bei der TTP ist regelhaft eine gestörte Funktion des ADAMTS-13-Proteins durch eine Plasmaanalyse nachweisbar. ADAMTS-13 ist für die Regulation des von-Willebrand-Faktors zuständig, der eine wichtige Rolle in der Blutgerinnung spielt. 
Die Forschung hat den Kenntnisstand über das atypische hämolytisch-urämische Syndrom in den letzten Jahren allerdings stark vorangetrieben. Wichtig ist, die genetischen Veranlagungen des betroffenen Patienten oder der betroffenen Patient*in genau zu erörtern. Zum Zeitpunkt der Diagnose ist daher ein genetisches Screening mit molekularer Diagnostik sowie einer Familienanamnese wünschenswert. Dieses Vorgehen ermöglicht eine vorherige Abschätzung des Therapieansprechens und des Risikos für ein mögliches Wiederauftreten der Erkrankung nach einer Nierentransplantation.

Da die Symptome bei aHUS ganz unterschiedlich sein können, wird für Patient*innen ein individueller Behandlungsplan erstellt. Heute sind zur Behandlung von aHUS spezifische biologische Therapieoptionen verfügbar. Als Standardtherapie gelten Komplementinhibitoren, sie hemmen einen bestimmten Abschnitt des Komplementsystems, den sogenannten terminalen Signalweg und sorgen dafür, dass die anhaltende, unkontrollierte Aktivierung des Komplementsystems unterbunden wird. Als unterstützende Therapie gilt die Behandlung von Bluthochdruck. Die Plasmatherapie kann ebenfalls zur Behandlung von aHUS genutzt werden. Hierbei wird dem Körper gesundes Blutplasma verabreicht, um die Symptome abzuschwächen, und es werden funktionierende Bestandteile des Komplementsystems (ein Teil des Immunsystems) zugeführt. In einigen Fällen kann auch eine Nierenersatztherapie notwendig sein, also eine regelmäßige Dialyse oder eine Nierentransplantation.