Kann den Wissenschaftlern der Durchbruch gelingen?

09. September 2020

Von K.E.D. Coan

«Eine Organtransplantation kann jederzeit für jeden von uns überlebensnotwendig werden. Während die Mehrzahl der Patienten zwischen 50 und 70 Jahre alt sind, kommt es auch vor, dass Kinder bereits sehr früh ein Transplantat benötigen», sagt Boerje Haraldsson, Global Program Head of Immunology, Hepatology and Dermatology, Global Drug Discovery (GDD). «Die Betroffenen befinden sich in einer verzweifelten Lage - für viele Patienten ist es lebensbedrohlich, wenn sich kein passendes Organ findet.»

Boerje Haraldsson, Global Program Head of Immunology, Hepatology and Dermatology, Global Drug Discovery (GDD)
Boerje Haraldsson, Global Program Head of Immunology, Hepatology and Dermatology, Global Drug Discovery (GDD)

In der Schweiz werden alljährlich mehr als 500 Organtransplantationen1 durchgeführt. Am häufigsten werden Nieren transplantiert, gefolgt von Leber, Bauchspeicheldrüsen, Lungen und Herzen. Dank dem medizinischen Fortschritt werden heute bis zu 20% mehr Organe transplantiert als noch vor zehn Jahren. Da jedoch nicht genügend Spenderorgane vorhanden sind, stehen weitaus mehr Patienten auf den Wartelisten, als Organe verfügbar sind. 
Doch selbst für jene, die sich über ein passendes Spenderorgan freuen können, ist eine Transplantation oft nur eine zeitlich begrenzte Lösung. Im Durchschnitt stösst das körpereigene Immunsystem die Hälfte der transplantierten Spenderorgane nach etwa zehn Jahren ab, obwohl die Patienten Medikamente einnehmen, um die Abstossung des transplantierten Organs zu verhindern. Häufig sind die Nebenwirkungen dieser verabreichten Immunsuppressiva so schwerwiegend, dass die Organfunktionen im Laufe der Jahre abnehmen. 

«Mehr als ein Viertel aller Transplantationen scheitern an den Nebenwirkungen und der Toxizität der verabreichten Medikamente», erklärt Christian Bruns, Global Head of Autoimmunity, Transplantation and Inflammation, Novartis Institutes for Biomedical Research (NIBR). «Auf der anderen Seite steigt der Bedarf nach einem Transplantat kontinuierlich an. Grund dafür ist unter anderem eine weltweit steigende Lebenserwartung der Bevölkerung. Es stehen aber nicht ausreichend Spenderorgane zur Verfügung, weshalb wir unermüdlich nach verbesserten Therapien für einen optimalen Schutz transplantierter Organe forschen.» 

Christian Bruns, Global Head of Autoimmunity, Transplantation and Inflammation, Novartis Institutes for Biomedical Research (NIBR)
Christian Bruns, Global Head of Autoimmunity, Transplantation and Inflammation, Novartis Institutes for Biomedical Research (NIBR)

Aufbauend auf mehr als 35 Jahren intensiver, multidisziplinärer Transplantationsforschung versucht Novartis gemeinsam mit externen Experten Therapien zu erarbeiten, welche die Lebensdauer transplantierter Organe verlängern mit dem Ziel, sie eines Tages ein Leben lang funktionsfähig zu erhalten. 

Hilfe in der Not  

Es gibt unzählige Gründe, warum Patienten ein Transplantat benötigen. Während Fettleibigkeit und Diabetes die häufigsten Gründe für ein Herz-, Nieren- oder Leberversagen sind, können auch schwerwiegende Infektionen wie Hepatitis dazu führen, dass eine Organtransplantation notwendig wird. Bei jüngeren Patienten ist häufig ein Gendefekt die Ursache dafür, dass ein oder mehrere Organe nicht funktionsfähig sind. Auch können Autoimmunerkrankungen dazu führen, dass das Immunsystem körpereigene Organe angreift und zerstört, und selbst schädliche Umweltfaktoren können zu Organversagen führen. Ausserdem ist das Älterwerden der Bevölkerung ein genereller Risikofaktor. 

«Mit zunehmendem Alter leiden die Menschen an unterschiedlichsten Krankheiten, die in Einzelfällen zum Organversagen führen können», so Haraldsson. «Die moderne Medizin hat in den letzten Jahrzehnten grosse Fortschritte erzielt. Heute können erfolgreiche Transplantationen bereits an Säuglingen, schwererkrankten, oder auch sehr alten Patienten durchgeführt werden, was vor nicht allzu langer Zeit noch undenkbar erschien. Transplantationen gelten heute als medizinische Option, weshalb die Diskrepanz zwischen Bedarf und den wenigen zur Verfügung stehenden Spenderorganen grösser wird.»

Die Alternative zur Nierentransplantation, die Nierendialyse, ist sehr belastend für den betroffenen Patienten. «Dialysepatienten müssen mehrmals pro Woche ins Krankenhaus, um sich einer mehrstündigen Prozedur zu unterziehen», so James Rush, New Product Director der Novartis Institutes for BioMedical Research (NIBR). «Die Transplantation erscheint daher als eine bevorzugte Möglichkeit und ist häufig die einzig reale Option, vorausgesetzt ein geeignetes Spenderorgan kann gefunden werden. Obwohl viele Menschen bereit sind, ihre Organe nach ihrem Tod zu spenden, sind allerdings weniger als 1% aller Verstorbenen geeignete Organspender. Dazu kommt, dass Spenderorgan und Organempfänger kompatibel sein müssen und die räumliche Distanz zwischen Spender und Empfänger so gering sein muss, dass es den schnellen Transport des zu transplantierenden Organs ermöglicht.

Wenn diese Hürden überwunden sind und die erfolgreiche Transplantation eines Spenderorgans erfolgt, beginnt die nächste grosse Herausforderung, nämlich das Immunsystem des Empfängers daran zu hindern, das fremde Organ abzustossen.

Das richtige Mass

Bis Anfang der 1980er-Jahre war das körpereigene Immunabwehrsystem ein unüberwindbares Hindernis für eine erfolgreiche Organtransplantation. Das transplantierte fremde Organ wurde vom körpereigenen Immunsystem, ähnlich wie bei einer Infektion, angegriffen, und körpereigene Abwehrreaktionen führten zur schnellen Abstossung des transplantierten Organs. Dank der Forschung, die hier in Basel bei der damaligen Sandoz Pharma in die Wege geleitet wurde, konnte dieses Abwehrverhalten unseres Immunsystems gegen fremdes Gewebe abgeschwächt werden.

Bereits in den 1970er-Jahren entdeckten Forscherteams von Sandoz eine erste Substanzklasse, welche das Immunsystem unterdrücken kann. Dank dem unablässigen Bemühen der Forscherteams um J.F Borel und H. Stähelin gelang es 1983, die Zulassung für das erste Immunsuppressivum zu erhalten. 
«Die Schweiz hat einen enorm wichtigen Beitrag zur klinischen Entwicklung der Transplantation geleistet», erklärt Haraldsson. «Diese frühen Entdeckungen sorgten dafür, dass in der Transplantationsmedizin kein Stein auf dem anderen blieb. » Heute kann nahezu jedes Organ transplantiert werden. Allerdings hat die Unterdrückung des körpereigenen Immunsystems durch Medikamente ihren Preis. 

Damit der Körper das fremde Organ nicht abstösst, müssen die Patienten für den Rest ihres Lebens Immunsuppressiva einnehmen. Da diese aber zugleich ihr Immunsystem schwächen, sind die Patienten anfälliger für Infektionen, Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ausserdem schädigen die Nebenwirkungen der eingesetzten Medikamente nach einiger Zeit oft auch die Funktion einiger Organe, wie der Niere- oder Leber.
«Es ist ein Balanceakt. Wir müssen die richtige Dosis an Immunsuppressiva finden, damit das transplantierte Organ voll funktionsfähig bleibt, dürfen aber das Immunsystem des Patienten nicht so stark unterdrücken, dass die Nebenwirkungen überhandnehmen», erklärt Rush. «Wir erforschen seit vielen Jahren Mechanismen der Transplantatabstossung, um besser zu verstehen, wie wir diese beeinflussen können. Ziel ist es, therapeutische Optionen zu finden, die es ermöglichen, ohne starke Nebenwirkungen eine langanhaltende Organfunktion zu gewährleisten.»

Auf der Suche nach dem Heiligen Gral 

Eine kritische Balance zu finden ist das Ziel bei der Entwicklung der Transplantationstherapien der nächsten Generation.

«Es ist bekannt, dass es hier nicht nur um das Immunsystem geht, sondern dass die Organabstossungen auch mit Entzündungen, Autoimmunerkrankungen, und gefässbiologischen Prozessen einhergehen. Wir vereinen unsere Kräfte und arbeiten multidisziplinär um die Entwicklung dieser verbesserten Transplantationstherapien voranzutreiben», erklärt Bruns. «Das bedeutet konkret, dass sich weltweit ca. 500 Mitarbeitende von Novartis mit diesem Forschungsgebiet befassen. Dabei arbeiten wir mit führenden Experten, Patienten und Ärzten zusammen und pflegen eine langjährige Partnerschaft mit der Universität Basel.»

Dieser multidisziplinäre Ansatz erlaubt es dem Team, sich dem Thema Transplantation aus verschiedenen Blickwinkeln zu nähern und gezielt neue Ansätze zu verfolgen, die den Patienten neue Behandlungsmöglichkeiten eröffnen. Einer der vielversprechendsten Ansätze ist die Entwicklung einer neuen Therapie, die die Funktion transplantierter Nieren erheblich verbessert – ein Novum auf diesem Gebiet. Bei dieser Immuntherapie wird ein Antikörper eingesetzt, der gezielt jene Immunreaktionen hemmt, die an der Abstossung von Organen beteiligt sind, während andere Immunfunktionen nach Möglichkeit intakt bleiben. 

James Rush, New Product Director, Novartis Institutes for BioMedical Research (NIBR)
James Rush, New Product Director, Novartis Institutes for BioMedical Research (NIBR)

Während das Hauptziel darin besteht, die Unterdrückung des körpereigenen Abwehrsystems sorgfältig zu steuern, um die Lebensdauer des transplantierten Organs zu verlängern, erforscht das Team auch, wie die Qualität der Organfunktion bereits vor der Transplantation verbessert werden kann. Der höchste Anspruch und ein langfristiges Ziel ist es jedoch, Therapien zu finden, die eine Organabstossung vollständig verhindern. 

«Wir fokussieren uns dazu auf Behandlungen, die das Immunsystem der Empfänger darauf vorbereiten, ein neues Organ wie ein eigenes anzunehmen», erklärt Rush. «Das ist der Heilige Gral der Transplantationsmedizin. »

Diese Re-programmierung des Immunsystems mag noch in ferner Zukunft liegen, doch das Novartis Team erforscht wichtige Aspekte, um das Leben der Transplantationspatienten bereits heute entscheidend zu verbessern. 

«Neben der Bereitstellung neuer Medikamente versuchen wir zu verstehen, wie wir die betroffenen Patienten besser unterstützen und ihnen das Leben in jeder Hinsicht erleichtern können», fügt Haraldsson hinzu. «Medikamente zu finden, die die Lebensdauer transplantierter Organe verlängern, wäre natürlich ein wichtiger Erfolg, und wir alle haben das langfristige Ziel vor Augen: ein Transplantat fürs ganze Leben. »